Die Wahrnehmung der Macht

6. Mai 2025

Darstellung des Unterrichts

Im Deutschunterricht haben wir uns mit dem Werk Maria Stuart von Friedrich Schiller beschäftigt. Wir haben uns unter anderem mit diesem Werk beschäftigt, da es ein gutes Beispiel für die Weimarer Klassik ist. Während der Besprechung kamen sehr spannende Themen zur Sprache, die nicht konkret von dieser Literaturepoche handeln. Deshalb werde ich mich nicht auf die literarische Epoche beziehen. Besonders spannend fand ich nämlich, wie Schiller das Thema Macht inszeniert und wie unterschiedlich sie wahrgenommen wird.
Wir haben im Unterricht festgestellt, dass Macht überall dort ein zentrales Element ist, wo Menschen aufeinandertreffen, sei es in der Politik, in der Schule oder in der Familie. Dadurch entstehen Machtverhältnisse, die sehr unterschiedlich sein können. Sie können Menschen stärken und ihnen helfen. Sie können aber auch anderen schaden, wenn sie missbraucht werden, beispielsweise in Form von Unterdrückung. Im Stück Maria Stuart ist die institutionelle Macht bei den beiden Regentinnen Maria und Elisabeth. Ungewöhnlich für die damalige Zeit ist, dass zwei Frauen im Mittelpunkt der Macht stehen. Dadurch wird die Wahrnehmung der Macht umso spannender.
Obwohl Maria Entscheidungen trifft, wird sie nie mit derselben Autorität wahrgenommen wie ein König. Das liegt einerseits am Einfluss, den sie auf Männer hat, und andererseits daran, wie Männer auf sie reagieren. Sie wird kaum als oberste Monarchin Schottlands wahrgenommen, sondern von den Männern eher als Objekt der Begierde. Maria hat eine gewisse Wirkung auf Männer, die sie zu irrationalen Handlungen veranlasst. Dabei kann Maria ihre Wirkung nicht kontrollieren. Ein Beispiel hierfür ist Mortimer. Er verliebt sich in sie. Sein Versuch, sie zu befreien, geschieht nicht nur um ihrer selbst willen, sondern auch um seiner selbst willen. Er sieht in ihr die Legitimation zur Macht. Dadurch hat er sich wahrscheinlich auch in sie verliebt. Bei Elisabeth ist es nicht der Einfluss auf die Männer, sondern die Art und Weise, wie sie gegen ihren Willen zur Heirat gedrängt wird. Damals mussten Frauen Kinder bekommen, um die Familie zu sichern. Doch Elisabeth will sich nicht der Macht eines Mannes ausliefern. Indem sie nicht heiratet, entzieht sie sich der Macht eines Mannes und behält so ihre Selbstbestimmtheit.

Die Wahrnehmung der Macht

Man kann sich also die Frage stellen, ob und wie die Macht von Männern und Frauen unterschiedlich wahrgenommen wird. Diese Frage ist in unserer heutigen Gesellschaft wichtig und sollte thematisiert werden. Frauen, die Führungspositionen einnehmen, erleben oft ähnliche Abwertung wie Maria und Elisabeth. Um dies zu verdeutlichen, möchte ich auf eine Studie von Professor Frank Flynn aus dem Jahr 2003 verweisen, in der er die unterschiedliche Wahrnehmung von Macht untersuchte. Dazu bildete er zwei Testgruppen von Studierenden, von denen die eine die Geschichte einer Unternehmerin und die andere die Geschichte eines Unternehmers hörte. Der einzige Unterschied war der Name (Heidi oder Howard). Der Rest war gleich. Anschliessend wurden die Studierenden gefragt, wie sie die jeweilige Person einschätzen würden. Die Leistung wurde bei beiden gleich bewertet, aber die Studierenden fanden Howard wesentlich sympathischer als Heidi. Heidi erschien ihnen aggressiver. Es handelte sich um zwei identische Profile, der einzige Unterschied war das Geschlecht.
Obwohl das Beispiel über zwanzig Jahre alt ist, ist die Aussage nach wie vor aktuell. Macht, die von Männern ausgeübt wird, wird meist positiver wahrgenommen, selbst wenn sie aggressiv und streng ist. Tun Frauen dasselbe, kann es sein, dass ihr Handeln als aggerrsiv oder negativ wahrgenommen wird, da der Stereotyp der Frau für viele Menschen immer noch fürsorglich und sensibel ist. Ich behaupte, dass wir als Gesellschaft immer noch stark in Stereotypen denken. Das muss nicht grundsätzlich falsch sein. Sie helfen uns wahrscheinlich, die Welt etwas besser zu verstehen und etwas Ordnung in die Vielfalt zu bringen. Das bringt jedoch auch Nachteile mit sich. Alte Rollenbilder wie die der zu Hause bleibenden Hausfrau und Mutter sind so stark verankert, dass wir kaum aus diesen Denkmustern ausbrechen können. Eine Frau kann genauso stark und selbstbewusst sein wie ein Mann, und das sollte nicht negativ wahrgenommen werden, nur weil wir etwas anderes erwarten. Wichtig ist also, sich dieses Denken in Stereotypen bewusst zu machen und mit offenem Blick durch die Welt zu gehen.
Um wieder auf das Buch zurückzukommen: Wir lernen zwei durch Geburt mächtige Frauen kennen. Sie werden zwar nicht konkret als unsympathisch wahrgenommen, strahlen aber einfach weniger Autorität aus. Beide Frauen haben mit Vorurteilen zu kämpfen und damit, dass sie nicht als vollwertig und respektabel wahrgenommen werden.

Ich nehme stark an, dass Schiller das Buch „Maria Stuart” nicht mit feministischen Absichten geschrieben hat. Und trotzdem lässt es meiner Meinung nach Freiraum für eine solche Interpretation.